Pustekuchen

Frühlingsanfang? Pustekuchen. Außentemperatur: 2 Grad. Es schneit. Puderzuckerschnee. Ein Wetter zum Bäumepflanzen. Die Akteure des internationalen Baumfesttages treffen ein: Über 60 Schüler aus Deutschland und Holland werden über 1.000 Bäume pflanzen. Es gibt viel zu tun. Zunächst einmal geht es ums Eintreffen. Die Jugendtagungsstätte ist bestens gerüstet: Auf einem Buffettisch in der großen Halle: Brötchenhälften mit Nussnougatcreme. Dazu Kaltgetränke. Wer hätte auch mit solch einem Wetter gerechnet. Erste Scherze bei den Offiziellen: „Wir könnten doch besser Weihnachtsbäume pflanzen“, sagt einer, und ein anderer würde am liebsten den Kaffee gegen Glühwein tauschen.

Natürlich ist Prominenz anwesend. Der Landrat hat seine Vertreterin geschickt, die Gemeinde Bergen aus den Niederlanden ihre Bürgermeisterin. Naturschützer sind vor Ort, Herren vom Regionalforstamt und jede Menge Helfer, die später den Schülern beim Pflanzen der Bäume assistieren werden. Pressetexte gibt es auch: „... findet zum 14. Mal der Internationale Baumfesttag statt. Im Zuge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ... pflanzen niederländische und deutsche Schüler der Basisschule ‘t Kendelke aus Siebengewald (NL) und der Hanna-Heiber-Schule auf einer Fläche von circa 1,5 Hektar Roteichen, Stieleichen, Rotbuchen und Douglasien.“ Geschichte gibt es auch: „Die Tradition des Baumfesttages stammt ursprünglich aus Nebraska.“ Das liegt in den USA. „Hier begann 1854 der Journalist und Herausgeber J. Sterling Morton eine Initiative zur Wiederbewaldung des nahezu baumlosen Bundesstaates. Diese Initiative verbreitete sich über die gesamten Vereinigten Staaten in die Welt hinaus.“ Jetzt ist sie auch am Niederrhein eingetroffen. Es ist der Baumfesttag mit der Nummer 14. Eigentlich wird am 25. April gebaumfestet, aber „unsere Schüler pflanzen die Bäume einen Monat früher, damit die neu gepflanzten Bäume in unserer Klimazone besser anwachsen können“. Zur Belohnung gibt’s halt a bisserl Winterstimmung.

Alles Offizielle beginnt mit Begrüßungen. Es wird sich zeigen, dass gewisse Unterschiede in der Verfahrenstechnik nicht zu leugnen sind. Die deutsche Seite beginnt. Ein Herr vom Regionalforstamt weiß wie es geht: Im Mittelpunkt des Tages stehen Bäume und Kinder. Also erst einmal die Offiziellen begrüßen und das Ganze möglichst so, dass (selbst die deutschen) Kinder wenig verstehen. Zu begrüßen sind der Wichtigkeit nach abwärts die landrätliche Vertreterin, die Bürgermeisterin aus Holland, Vertreter der Naturschutzorganisationen und die Abgesandten des Sponsors. Die Stadtwerke sind für die Baumspende verantwortlich. Last and least: Die Kinder. Dass die Schüler aus Holland noch weniger als ihre deutschen Kollegen verstehen und lautstark um Übersetzung nachsuchen, darf ignoriert werden.

Auftritt der Landratsvertreterin. Frauen und Kinder – jetzt wird alles gut. Sollte Mann meinen. Es geht auch anders. Die Landratsvertreterin legt den Beweis dafür ab, dass sie auch lesen kann. Das Beweisstück: Ein Redemanuskript. Die Ansprache: Hölzern wie die Bäume, die später in die Erde sollen. Bei Loriot würde die Dame bei der Begrüßung sagen „Sehr geehrte Damen und ...“ dann das Blatt wenden und schließlich den Satz seiner Vollendung überlassen. Die Honoratioren werden ein weiteres Mal begrüßt. Am Ende: Zwei niederländische Worte. Herzlich Willkommen. Hartelijk welkom. Das zweite Wort  klingt very British.

Dann: Die Bürgermeisterin aus Holland. Sie weiß wie’s geht: Sie fängt gleich bei den Kindern an und redet manuskriptfrei herzlich. Da steigt die Innentemperatur der Zuhörer. Die Bürgermeisterin erzählt von der Bedeutung der Natur und wünscht den Kindern Spaß beim Pflanzen. Außerdem weiß die Dame, dass irgendwo im weiten Rund ein Geburtstagskind anwesend ist. Sie animiert zum Singen, und die holländischen Schüler lassen sich nicht lange bitten: Lang zal hij leven in de Gloria. Am Ende ein Hipphipphurraa. Dann das Verhängnis. Wie es denn wohl auf Deutsch klinge, möchte die Bürgermeisterin wissen. Schweigen legt sich in den Saal wie drau´ßen der Schnee auf die Landschaft. Ein zaghafter Singversuch deutscherseits wird von einer engagierten Pädagogin mittels deutlicher Handbewegung weggewischt. Die Devise: Wir singen nicht. Genug begrüßt. Zeit, sich auf den Weg zu machen.  Einer der Offiziellen sagt scherzhaft „Zieht euch warm an“, und gleich spendiert eine innere Stimme die russische Melodie.

Auf in den Wald. Ein paar Schritte sind es schon noch bis zum Ziel im nahen Reichswald. Dort warten die Jungbäume darauf, im winterlichen Reichswaldboden versenkt zu werden. Am Beginn der Fläche ein Kunstwerk: Ein Baum steht halbgepflanzt im Boden – daneben eine Stange, auf der eine Jacke hängt. Ist das Kunst? Nein, das ist der Gedächtnisbaum nebst Gedächtnisschild. Der Plan: Wichtige Menschen pflanzen den Baum und enthüllen das Schild – vor laufenden Kameras. Der Baum – wie gesagt – halb versenkt (es muss ja schnell gehen) hat ein Namensschildchen. Darauf zu lesen: „1 Malus sylvestris“. Wikipedia meldet: Es handelt sich um einen Holzapfel. „Der Holzapfel ist ein sommergrüner Baum, der Wuchshöhen von bis zu 10 Meter erreicht; überwiegend wächst er jedoch als großer Strauch mit Wuchshöhen von 3 bis 5 Metern. Die Krone ist dicht; die Äste und Zweige weisen mehr oder minder verdornende Kurztriebe auf. Die Rinde ist eine graubraune, längsrissige Schuppenborke. Die Knospen sind wollig. Die nur ganz schwach behaarten bis fast kahlen Laubblätter sind ei-rundlich, kerbig gesägt und 4 bis 8 Zentimeter lang. Holzäpfel wurden schon zur Zeit der Pfahlbauten genutzt. Die Früchte sind gedörrt oder gekocht genießbar. Seit der Verbreitung des Kulturapfels hat der Holzapfel keinerlei wirtschaftliche Bedeutung mehr.“ Na bitte.

Die Offiziellen werden bespatet und beginnen sogleich damit, dass bereits ausgehobene Loch mit Erde zuzuschütten und anschließend das eingefüllte Erdreich festzu stampfen. Zwischendrin ein Bitterechtfreundlich seitens der Presse. Dann: Enthüllung der Gedächtnistafel. Der Herr vom Regionalforstamt Niederrhein knöpft die Jacke auf. Das Abnehmen gestaltet sich schwieriger als geplant.  Schließlich aber wird der Blick auf ein hölzernes Schild frei. Es zeigt einen Spaten und einen Baum und ist von einem zweisprachigen Schriftzug eingekreist: „Regionalforstamt Niederrhein u. Kreis Kleve – Boomfeestdag Nationalpark De Massduinen“ steht da. Unten noch die Jahreszahl: 2013. Es ist vollbracht. Der wichtigste Baum ist eingepflanzt, das wichtige Schild enthüllt. Die Kinder singen ein Lied. Auf die Melodie von John Brown’s body bäumt sich niederländische Klangfreude. Ach ja: Vorher hat es noch ein Quiz gegeben. Die Kinder hatten 15 Minuten Zeit, einige Fragen zu beantworten.

Jetzt beginnt der Baumfesttag: Jetzt werden die Schüler sich ans Pflanzen machen und der Natur etwas Gutes tun. Die Offiziellen reisen ab. Was lernen wir? Vielleicht demnächstens auf deutscher Seite kindgerechter formulieren und das Manuskript einfach zuhause lassen. Den Bäumen wird’s egal sein. Der Puderzucker spendet Vergessen. Der Wald steht weiß und schweiget.