Is klar, Walter

Nur ein ganz degenerierter Affe kann auf die Idee gekommen sein, aufrecht zu schreiten und nicht mehr bequem auf allen vieren zu gehen; nur ganz „minderwertige“ Affenmenschen, die offenbar nicht mehr genug Kraft und Kühnheit besaßen, um sich durch ein System starker, drohender Gebärden zu verständigen, können zu dem Surrogat der Lautsprache gegriffen haben. (Egon Friedell/ Kulturgeschichte der Neuzeit)

... und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.

„Niemand hat die Absicht, Sprache zu verunstalten.“ Is klar, Walter. Sprache ist wichtig, weil das ist ja irgendwie das letzte Stück Heimat, das man uns gelassen hat, obwohl: So genau kommt es ja eigentlich gar nicht. Sprache ist lebendig, weil: Sonst wäre sie ja tot. So tot wie Johannes B. Kärner und die Menschen seiner Gnade. Sprache muss angegriffen werden, sich vollsaugen, weil: Sonst passiert doch nichts mehr. Zeige mir deine Sprache und ich sage dir ... Na bitte: Entsorgungspark. Industriepark. Merke: Parks sind irgendwie grün. Wie wär‘s denn mit einer Unwortausstellung. Nicht wenige von uns werden doch, sobald sie das Sprechen hinter sich lassen und zum Geschriebenen greifen müssen, zu linguistischen Totschlägern. Was gibt es Schöneres als Amts-, Juristen- oder Wissenschaftsdeutsch. Beiziehen, abgreifen. Merke: Amtmänner greifen ab, Juristen ziehen bei. Spediteure ziehen um. U.A.w.g. Abkürzungswahnsinn. V.i.S.d.P. Hatte das jetzt was mit Konnjack zu tun? I.k.m.d.a.m. (Ihr könnt mich doch alle mal. [Anm. d. S.]) „Niemand hat die Absicht, Sprache zu verunstalten.“ Is klar, Walter.

Und wie war doch die Sache mit dem Händi? Nichts, als vorauseilender Sprachgehorsam, weil: Englischer, pardon: Amerikanischer geht’s doch nicht mehr. [Schon mal versucht, im Buschelschorschland ein ‚Händi’ zu kaufen? Das gibt’s da so wenig wie West Zigaretten.] Früher gab’s Rosinenbomber – heute wird Sprache abgeworfen. Und alles, was amerikanisch klingt, wird doch mit Freiheit verbunden. Friedemm. Dass es in einem Betkloster weitaus liberaler zugeht als im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, gehört zu eben den Dingen, die gerne mal verschwiegen werden. Freiheit gibt’s doch da so wenig wie Handys. Ounlie fromm mai kold däd händs. (Ben Hur alias Charlton Heston.) Aber wer weiß das schon? Was dem Industrijellen sein Park, das ist den Werbemenschen ihr Englisch – oder wahlweise Französisch. Eine Käse kommt gerne aus Frankreich, es sei denn, er hat Klumpen an und Frau Antje zur Patin oder Löcher drin und ist vom Berg gerollt. Fronßöhsisch = irgendwie edel. Italienisch nicht zu vergessen: Pasta Kollektionen. Liebevollchaotischmännlich. Wodka heißt Gorbatschow und kommt aus Russland. (Im Hintergrund hören wir die Balalaika. Oder ein Akkordeon. Das bedeutet: Frankreich.) Für Bier wird neuerdings auch barock geworben – das Dresdener Hofbräuhaus ist in Wirklichkeit die Semper-Oper. Ha le luja. „Niemand hat vor, eine Sprache zu verunstalten.“ Is klar, Walter.  

Und Latein? Na, das ist dann was für die Pädagogenzeitschriften. Mitunter auch beliebt bei den spätpubertierenden Komponisten Neuer Musik, die zaghaft anzudeuten versuchen, dass sie sich beim Indieweltsetzen ihrer Tontrauben nebst artifizieller Klangbepflanzung etwas gedacht haben könnten: Ludus T., Lupus F. Auch Tarifdisainer bedienen sich gerne des Anglistischen. ßittikol. Wie wir nun bereits wissen, klingt ja das Englische irgendwie unverbindlichfreiheitlich. Was früher das Lateinische war (in der Kirche verstand es kaum jemand, aber es repräsentierte halt ein gewisses Mysterium), ist heute das Englische. Quasi ist also das Englische schon jetzt das Lateinische der näheren Zukunft [ Roming, roaming, Nero börning romm], dann, wenn alle Arabisch oder Chinesisch sprechen werden ... [Zum Lateinischen sei noch gesagt, dass neulich in einer Tageszeitung eine Meldung auftauchte, derzufolge italienische Eltern bei der Kirche durchgesetzt haben, ihrem Sohn die heilige Kommunuion mittels einer Injektion verabreichen zu dürfen. Kein Problem. In der Gemeinde, so war zu lesen, liegt künftig neben Brot und Wasser bei der Wandlung auch ein Spritzbesteck auf dem Altar. [Die Spritze Christi.] Das Lateinische spielt mittlerweile, fast hätte ich es vergessen, auch in der Werbung wieder eine Rolle, denn im Müsli gibt es jetzt Zerealien. Das klingt feierlich. Fast wie eine Art Weihrauch zum Gemüse. Is klar, Walter.

Wie pervers sind wir denn, dass wir ein Wortkunstwerk wie Zeitlupe durch Sloumouschenn ersetzen? Ja, hackt es denn? Zeitlupe – das ist Schönheit, die von innen kommt. Hauptmännin. Jesusine. „Niemand hat vor, Sprache zu verunstalten.“ Is klar, Walter.

Und wie heißt die Vergangenheit von daunlouden? Ist das nun gedaunloudet oder daungeloudet? Das bewegt uns doch. Oder nicht? Und all die verbalen Abstandshalter: Bekanntlich. Bekanntlich sagt und schreibt jeder bekanntlich, der es nicht so genau weiß. So schafft man sich eine argumentatorische Knautschzone. Wie wär`s mit: Sie kennen doch sicher ... Wer sagt da schon „Nein“ und autet sich als Blödmann. Abstand schaffen. Oder: halt. Es ist halt nicht so einfach. Was ist es? Oder:Ich sag mal. Das schreibtaktische Pondon scheint nicht existent zu sein. Also, ich schreib jetzt mal. Häufig dagegen: Ich sag mal. Noch besser natürlich – und letztlich wirklich als genial zu betrachten: fast hätte ich gesagt. Dabei fällt auf, dass alle, die etwas fast gesagt hätten, dann nicht etwa mit dem Sagen aufhören, sondern trotzdem sagen, was sie fast gesagt hätten. Das erinnert an die amerikanischen Gerichtsfilme: „Bitte streichen Sie diese Bemerkung aus Ihrem Gedächtnis.“ Oder: „Die Geschworenen wollen diese Bemerkung bitte nicht zur Kenntnis nehmen.“ In einem der Filme (welcher war es doch bloß), sagt ein windiger Anwalt auf die Frage seines Mandanten, wie man denn etwas nicht zur Kenntnis nehmen könne: „ Das kann niemand. Das ist es ja gerade.“ Fast hätte ich geschrieben ... Is klar, Walter.

Wir nähern uns der friedell’schen These: Nur, wer ansonsten regungslos und unfähig zur Übermittlung ist, greift zum Surrogat der Lautsprache. Afterwörkparti. Das muss man schon Englisch ausdrücken, weil es ansonsten einfach zu blöd und profan klingen würde: Nacharbeitsfest. Sprachschminke. Auch Singels klingt natürlich besser als Alleinstehende. Außerdem, werden Alleswisser einwenden, schwingt im Wort Singel schließlich nicht nur der Gedanken an Alleinsein mit, sondern auch das Singulare. Alleinsein = einzigartig sein. So einzigartig wie die anderen 3,458 Millionen. Is klar.

Nicht notwendiger Exkurs in die Filmgeschichte

Wir erinnern uns. In den Schwarzweißfilmen der 50er wurde mitunter Auto gefahren – vor einer Leinwand meist. Auffällig dabei ist, dass die Fahrer meist wild lenken, was im Normalfall auch bei einer Lenkung der damaligen Zeit garantiert zu „Entgleisungen“ geführt hätte. Merke: So überbrücken die Schauspieler (oder der Regisseur) das Wissen, dass sie ja nur vor einer Leinwand fahren. Da sie es wissen, glauben sie, dass es auch der Zuschauer sehen wird, wenn sie nicht extrem lenken. Weil man die eigene Lüge kennt, übertreibt man sie fürs Publikum. Unter diesem Gesichtspunkt seien folgende – jetzt sind wir wieder beim Thema – Äußerungen zu kontrollieren:

1)      Ich fasse mich jetzt ganz kurz ...

2)      Um die Wahrheit zu sagen ...

3)      Bekanntlich ... (s.o.)

4)      Ich würde mir nie erlauben ...

5)      Fast hätte ich gesagt ...

Und so weiter. Is klar, Walter.

Werbedeutsch: Da wäre „Die lustige Bäckerei“ zu nennen. Man kann es sich doch wirklich bildlich vorstellen. Noch viel besser allerdings ist das „Vernünftige Abführmittel“. Darauf hat man schließlich seit Jahren gewartet, wo doch das „gefühlsechte Kondom“ längst in den Verbraucheralltag integriert ist.
Letzte Worte: Mehr Licht. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.
Worthülsen: Widerworte. Wieder Worte.