Leck mich

Der philatelistische Imperativ

800 Anträge für die Gestaltung von  ‘Sonderpostwertzeichen’ werden alljährlich gestellt. 50 schaffen es in die postalisch-philatelistische Realität. Wer es auf die Marke schafft, hat Aussichten auf in- und ausländische Berühmtheit - wird hier beleckt, da betupft oder geschwämmt und ist (man weiß ja nie) dermaleinst vielleicht wertgesteigert im einen oder anderen Album zu finden.

Der philatelistische Imperativ aus Sicht der Marke: Leck mich! Anders gesagt: Vorne hui und hinten pfui. Oder: Erst beleckt und dann in die Wüste (oder sonstwohin) geschickt: Philatelistenentsorgung. Noch was vergessen? Ach ja: Abgestempelt wird man auch noch. Reihenfolge: Lecken, abstempeln, Wüste.

Am Niederrhein wurde jetzt die Hochzeit von Philatelie und Kunst festaktlich begangen. Des Schlosses Konterfei auf einem Sonderpostwertzeichen, von Ignoranten auch Briefmarke genannt. (Nur echt mit 80 Zähnen.)  85 Cent kostet die Museums-Marke. Das Museum heißt Moyland. Das mit dem Beuys und das mit ohne Direktor.

Zurück zur Markensachlichkeit: Acht Millionen beträgt die Auflage. Acht Millionen mal 85 Cent. Macht zusammen 6.800.000 Euro. Ein nettes Sümmchen, und trotzdem: Nennwert. Mehr nicht, denn: Ideell sieht die Sache natürlich anders aus. Diagnose: Un-be-zahl-bar. (Aber vielleicht wünscht sich mancher insgeheim, dass die aus Berlin das Briefmarkengeld einfach so überwiesen hätten. (Be-zahl-bar.) Es ist ja kalt in Moyland, seit der Etat eingefroren wurde.) Zurück zur Ideologie: Wer als Marke in aller Herren (und Damen) Länder oder in die Wüste geschickt wird, erregt Aufsehen. Die Briefmarke als Visitenkarte im Westentaschenformat gibt optische Auskunft - regt zur Nachfrage und vielleicht zur Hinreise an oder dokumentiert auf niederster Ebene unaufgeklärtes Vorhandensein.

Marke und Schuh

Der moyländer Markenstatus ist ein hübsches  Geschenk zum 10-jährigen Bestehen. Aber wie hieß es so schön in einer der Festreden?: „Mit zehn Jahren schaffst du es auf keine Marke.“ Da muss schon mehr kommen.) Bitte sehr: Wir addieren weitere 690 Jahre, einen alten Fritz nebst französischem Denker und schon wird ein Schuh, pardon - eine Marke draus.

Aber machen wir uns nichts vor: Eine Marke war Moyland schon vor der Marke. Und machen wir uns noch mal nichts vor: Markenterror gibt es ja bestenfalls an Schulen. Da machen wir uns nichts draus. Die Marke Moyland allerdings  (gemeint ist jetzt die Marke und nicht die Marke) - die Marke Moyland ist zahnlos und ungummiert in Schräglage geraten. Status: Abgestempelt. (Die Wüste wartet.)

Woran liegt’s? Antwort: Die Klimakatastrophe. Der Klimapegel nämlich schlage derzeit im Lande (NRWeh!) zu Ungunsten von Kunst und Kultur aus, festredete einer. Ergo: Die Jubelfeier fand unter (Selbst)Ausschluss der Landesregierung statt. Die hatte („Es war ja anders geplant“) keinen Vertreter entsenden können. Kann passieren. Muss aber nicht. Auch landratstechnisch reichte es nur zur Vertretergarnitur. Kann passieren. Muss aber nicht.

Trotzdem: Schön die Marke. Aber noch unbehelmt. Da aber, so erfuhr man, wird noch diesen Monat (es ist ja auch der Wonnemonat) für Änderung gesorgt. Dann kriegt Moyland noch ‘eins aufs Dach’. Rein helmhistorisch, versteht sich. Kann passieren. Muss aber nicht.  

Ob das Schloss - Helm hin, Helm her - ansonsten kopflos bleibt (was es natürlich in Wirklichkeit nicht ist - man setzt ja auf die Doppelkopfstrategie) -  wer weiß das schon? Geht es nach dem Förderverein, darf recht bald ein Neuer  kommen und die zwei kopf- und planlos abgereisten Vorgänger ersetzen oder plan- und stilvoll aber stiftergehorsamst beerben. Braucht der dann einen Helm? Kann. Muss aber nicht.

Die Wüste lebt

Immerhin: Der Neue könnte nach seiner Inthronisierung allen Freunden und Verwandten Briefe oder Postkarten schicken mit dem schicken Sonderpostwertzeichen: Kommentar: „Guckt mal, da arbeite ich jetzt. Ist das nicht schön.“  Später - nach Markenterror und Zwangsabdankung - könnte er dann schreiben: „Am Ende bleibt die Marke kleben. Ansonsten wird’s nichts Gutes geben.“ Erst lecken, dann abstempeln - dann in die Wüste. Kann sein. Muss aber nicht. (Das Motto: Die Wüste lebt, und die Klimaverschiebung macht’s möglich. Siehe oben.) 85 Cent Reisespesen sind ja dann schon mal ein Anfang.

Ach ja - zum Sonderpostwertzeichenfestakt sprach noch ein Messdiener kleinen Latinums die Formel ‘Pacta sunt servanda’ und übersetzte auch gleich: Verträge sind zum Einhalten da. Da wäre man ja auch sonst gar nicht drauf gekommen. Merke: Es kann ja nicht jeder Messdiener gewesen sein. (Und: Wenn einer sagt, was doch allen längst klar ist, dann darf man von einer Mahnung sprechen. Zielrichtung: NRWeh!)

Demnächst kommt dann ja vielleicht der nächste Kunstkulturklimawechsel. Bis dahin den philatelistischen Imperativ nicht vergessen: Leckt mich. Und da kommt bei acht Millionen Auflage schon einiges an bösen Zungen zusammen.

Ach ja: Das ‘Lecko Mio’ gilt natürlich für die Hinterseite. Nicht wegen Berlichingen, sondern weil ja vorn das Bild ist. Und abschließend ein Grußwort des Dichters Joachim Ringelnatz - quasi 'für hinter der Spiegel zu kleben', wie der Niederrheiner sagt:


Die Briefmarke
Ein männlicher Briefmark erlebte was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.  Da war die Liebe in ihm erweckt.
Er wollte sie wiederküssen, doch hat er verreisen müssen:
So liebte er sie vergebens. Das ist die Tragik des Lebens.