Satt eins

Natürlich wandelt sich die Sprache - wird gewandelt. Die Rechtschreibung ändert sich, und auch die Art der Ausdrucksweise. Sagte man noch bis vor nicht allzu langer Zeit: "Ich kann heute nicht kommen, weil ich krank bin." So heißt das heute: "Ich kann heute nicht kommen, weil ich bin krank." Man müsste die Interpunktion ändern: "Ich kann heute nicht kommen, weil: ich bin krank." Niemals waren Superlative so begehrt: der, die oder das Größte aller Zeiten muss es schon sein. Die Musik lebt da noch auf dem Hügel. Oder sollte man sagen: die Musi klebt da noch auf dem Hügel. Das Interview ist eines der besten Beispiele der sprachlichen Wandlung. Vor allem das im Sport. "Wir haben schlecht gespielt" - das wird als Analyse gefeiert. Wie also wird das Musikerinterview demnächst aussehen?

Vielleicht so:

"Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei mir steht einer der größten Dirigenten aller Zeiten, Fritz Kater. Gerade eben ist einer der wohl herausragendsten Aufführungen des d-moll Klavierkonzertes von Bach zu Ende gegangen. Der Pianist ist noch in der Kabine, wo ihm eine Dopingprobe entnommen wird. Wir hoffen aber, auch mit ihm noch reden zu können, nachdem er bei den Kollegen der anderen Sender gewesen ist. Fritz - wie isses gelaufen? Sie scheinen noch ganz erschöpft von den anstrengenden 3 Sätzen. Ein erstes Fazit?"

"Ja gut - der Peter hat toll mitgespielt, eigentlich von Beginn an. Wir wussten beide, dass das heute kein leichtes Ding werden würde. Die Wetterverhältnisse waren ausgezeichnet, und wir hatten beide zwei Tage Spielpause gehabt. Gleich am Anfang des ersten Satzes hatte ich einen leichten Einbruch, den Peter natürlich sofort ausgenutzt hat, um mir sein Tempo aufzuzwingen. Super gemacht. Aber nach der Einleitung habe ich dann wieder zu meinem Spiel gefunden und es bis zum Schluss nicht mehr abgegeben."

"Habt ihr das Stück unterschätzt?"

"Ja gut, wir wussten natürlich schon im Vorfeld, dass es nicht leicht werden würde. Wir haben uns Videos des Orchesters angesehen und gleich gemerkt, dass ihr Spiel über den Konzertmeister laufen würde. Da musste einfach der Raum dicht gemacht werden. Es musste alles über den Flügel laufen. Dann riss dem ja der Faden: und ich denke, nach dem Saitenwechsel im ersten Satz, war das Ding eigentlich gelaufen."

"Wie habt ihr überhaupt das Orchester gesehen?"

"Wir hatten hier beide noch nie gespielt und haben uns also informiert gehabt. In der letzten Saison haben die einige neue Leute gekriegt und eigentlich wusste bis heute niemand, wie sie die integriert haben. Aber ich würde sagen, dass war ein durchaus guter Start in die Saison. Wie gesagt: Peter hat seine Sache super gemacht."

"Aber eigentlich bist du ja der Spielmacher. Wir schauen uns mal gerade die MAZ vom Beginn des dritten Satzes an. Vielleicht kommentierst du das mal selber!"

"Ja gut - hier wische ich mir gerade den Schweiß von der Stirn."

"Wenn ich mal unterbrechen darf: was geht da in einem vor?"

"Ja gut - ich habe mir gedacht: heiß hier. Dann bin ich noch mal in Gedanken den dritten Satz durchgegangen - gibt es einige kniffelige Stellen. Aber jetzt hebe ich gerade den Arm, und der Anfang war schon gut."

"Man hatte den Eindruck, dass da nach den ersten 4 Minuten ein kleiner Einbruch war. Die Kollegen haben da einen Ausschnitt vorbereitet."

"Ja gut - da hat es mit dem Zusammenspiel nicht so ganz gestimmt. Wenn ich den Einsatz gebe, muss er natürlich reagieren. Wenn er nicht gleich mitzieht, stehe ich natürlich allein da. Der Konzertmeister ist einen Augenblick unkonzentriert. Das nutze ich natürlich und ziehe das Tempo an, und als wir bei der Kadenz ankommen, ist das Ding eigentlich gelaufen. Peter nimmt etwas das Tempo raus, aber nach der Kadenz komme ich mit einer Attacka a Tempo, und die sind so überrascht, dass ich den Rest des dritten Satzes das Tempo diktieren kann."

"Ich glaube, die Zuschauer waren am Ende ein bisschen enttäuscht. Die hätten schon gerne ein bisschen mehr gesehen."

"Ja gut - das mag sein, aber das war unser erstes Konzert bei diesem Festival. In den nächsten zwei Wochen kommen noch vier weitere. Da muss man schon ein bisschen aufpassen. Und ich denke, das Publikum weiß das auch. Da muss man sich die Kräfte schon ein bisschen einteilen."

"Vielleicht noch eine kurze Prognose für das nächste Konzert."

"Ja gut: das Ding wird auch wieder drei Sätze haben. Ich hoffe, dass wir das nicht unterschätzen und dann auch am Schluss das Tempo halten können und nicht so unentschieden spielen."

"Ich sehe hier gerade Peter, der von der Doping Probe zurück ist. Peter - kurze Analyse?!"

"Ja gut, immer, wenn es kommen soll, kommt es natürlich nicht. Ich habe dann viel getrunken, und dann ging es."

"Und zum Spiel?"

"Ja gut - wer mich kennt, der weiß natürlich, dass ich immer versuche alles zu geben. Aber man spielt nun mal nicht mit den Fingern, sondern mit dem Kopf. Da war ich heute nicht ganz frei. Ich denke, Franz war einfach zu gut für mich. Im zweiten Satz habe ich eigentlich das Beste gespielt. Ich habe die anderen super kontrolliert und nichts anbrennen lassen. Aber das muss eben drei Sätze lang halten."

"Ein Wort noch zu Akustik."

"Ja gut, ich denke, dass alle was gehört haben. Und so muss es ja auch sein."

"Danke Peter, Danke Franz. Ich darf euch noch die Gotthilf Fischer Plakette überreichen. Vielleicht noch ein Wort zum Thema Frauen im Orchester. Wer will - Franz?"

"Ja gut, Frauen sind natürlich wichtig - gerade in der richtigen Position können die eine Menge Druck von hinten machen. Ich denke, dass wir da umdenken müssen."

"Vielen Dank an euch beide."