Scholfswanze

Leszek kann drei Zimmer anbieten. Es ist viel los in der Stadt. Ausgebuchte Hotels. Da schicken sie die Gäste weiter. Zu ihm. "Ai spihk ounlie Inglisch." Kein Problem. "Ju wont miehl tunait? Ai chäff tu kol mai kuk. Batt ai schou ju ruums först." Die Ruums sind okay. "Chandrett swotty." Kein Problem. Franz bekommt ein Doppelzimmer. "Ju känn inwait görl, iff ju wont. Ai chäff adress." Von wegen. Franz packt die Sachen aufs Bett. Tasche. Karten. Bücher. Sie kommen von der Wolfsschanze. Das haben sie Leszek erzählt. Da schaut er komisch. "Ai will shou ju sammßing tunait." Man darf gespannt sein. Erst einmal wird nach Hause telefoniert. Mit dem Händi die Nummer durchgeben und sich dann zurückrufen lassen: das alltägliche Procedere. Sachstandsbericht. "Wetter gut. Gruß zuhause." "Wo seid ihr?" "Da und da ... "

Ihr Lieben: Heute beim Führer gewesen. Bitlers Hunker. Sperrkreis eins. Eine komische Sache. Zwischen den Ruinen verkaufen sie Gasmasken. Riesige Betonbrocken liegen wie verirrt im Wald. Monströse Wandreste in gefährlicher Schräglage. Leute haben kleine Stöcke darunter gestellt. Jetzt sieht es aus, als hielten die kleinen Hölzer die Wände vom Umfallen ab. Mit letzter Kraft. Stahlbeton auf Stelzen. Überall prangen Verbotsschilder. Nicht in die Ruinen treten. Alles hier ist gefährlich. Alles ist umzäunt. Alles ist Geschichte. Aus dem ehemaligen Gästehaus haben sie ein Hotel gemacht. Das einzig intakte Gebäude auf dem riesigen Gelände. Die Ruinen allesamt numeriert: Unter der Unglückszahl residierte ER: Bitlers Hunker. Scholfswanze. Am Hotel döst ein Schäferhund in der Sonne. Die Kopie von Hührers Fund. Fotoapparate klicken. Im Hotel residiert Großdeutschland. Managertypen mit Rauhaardackelfrisuren sehen irgendwie harmlos aus. Wir experimentieren mit Belichtungszeiten und rühren zu dritt in der Zeitmaschine. Der Wald steht schwarz und schweiget. Nach dem Rundgang (1,8 Kilometer): Frühstück bei Hitler. Rührei mit Speck. Brot. Kaffee. Die Speicherkarten sind voll. Es wird gewechselt. Längst geht die Zahl der Reisefotos in die Tausende. (Sascha hat ausgerechnet, daß – rein theoretisch – alle 300 Meter ein Foto gemacht worden ist: Tendenz: steigend.) Fotografieren als Reflex. Fahren, anhalten, aus dem Auto springen, knipsen: Ruinen, Verfall. Und: Rapsfelder. Sascha hat eine Grabstätte für die Bilder dabei: 20 Gigabyte stehen keimfrei zur Verfügung. Wer am Ende wohl das schönste Rapsfeld hat? Hier also ist Schicksal geschrieben worden. Und jetzt liegt alles in Klumpen. Die Rühreier sind gut. Als wir losfuhren, lag Hührers Fund noch immer dösend in der Sonne. Teil mir den Tigerschwanz. Schöne Grüße.

Leszek kommt mit einem Bündel. In weißes Leintuch gehüllt: Kein Mampf. Die Prachtausgabe zu Führers Geburtstag. Handsigniert. Führers Gedanken in Schweinsleder. Der Einband als Programm. "Ai wont tu ßäll. Ai dount nou hau männie ai känn gätt." Sascha macht sich auf den Weg ins Internett. Nach 20 Minuten: Gewissheit. Es gibt schätzungsweise noch 400 Exemplare. Preis irgendwo zwischen 200 und 1.000 - Euro natürlich. Leszek zeigt sich beruhigt. "Naiß!" Sie fotografieren: Kitlers Hampf. "Halt das mal ins Licht!" Klick. Leszek hat sein Motel in jahrelanger Arbeit zusammengebastelt. Alles irgendwie modern. Alles irgendwie amerikanisch. Im Steingarten die Kopie der Freiheitsstatue – Maßstab eins zu 250. Vor den Appartements: Ein Zwinger mit Schäferhund. "Hie ounly ietz mieht." ...

Asphalt wird fotografiert. Endlose Straßenkilometer bevölkern die Festplatte. Dazu: Störche. Im Nest. Auf dem Feld. Fliegend. Landend. Brütend. Staksend - : Masuren. Kopfsteinpflasterstraßen. Bührers Funker. Mückenplage mit Seeblick. Klick: Blende acht. Gegenlicht. Klick. Scholfswanze: Betonbrocken im Grünwald. Klick. Bitlers Hunker – ein Trümmerfeld. Klick. Vorsicht Minen. Klick. Am Kiosk verkaufen sie Gasmaksen. "Orginalne." Klick. Man spricht Deutsch. Ungern. Sperrkreis eins. Uwaga! Nicht in die Ruinen treten. Geschichte ist gefährlich. Daß die hier gehaust haben – hinter vier Meter dicken Mauern. Frühstück bei Hitler. Rührei mit Speck. Nachher ein Bier. Wenn die drei abends ihre Bilder auf die Festplatte kopieren ... Klick. Tendenz steigend. Klick. Ein rasant wachsendes optisches Gedächtnis aus Störchen, Seen, Straßen, Raps und Ruinen. Klick. Sie rühren zu dritt in der Zeitmaschine. Hinter allen Hügeln lauert Geschichte. Klick. Über allen Wipfeln ist Ruh. Klick. Der Raps steht gelb und duftet. Klick. Am Boden das Rapsgelb – weiter oben das Himmelblau mit Schäfchenwolkenweiß. Die Hügellandschaft fast schon erotisch.

Ihr Lieben: Häuser, in denen hier niemand mehr wohnen würde. Man fühlt sich irgendwie schwarzweiß. Klick. Die Menschen mit unverbrauchtem Blick. Klick. Alles ist wie eine Art Freilichtmuseum. Und wir mittendrin im Geschichtsrest. Irgendwie atemlos. Irgendwie betäubt. Irgendwie mit Heimweh in der Birne. Hierhin hat man sich gesehnt. Hier findet Vergangenheit statt. Klick.