Schwadderlapp

Das Wetter spendet kühle Grundvoraussetzungen. 15 Grad, Tendenz fallend – genau das Richtige für ein lauschiges Konzert im Schlosspark. Es wird gesungen. Ganz einfach so. Begleitungslos. A Cappella. Basta. Das erste A-Cappella-Festival am Niederrhein. Ganz schön feist. Aber ausverkauft. Naja – nicht ganz, aber immerhin: 600 Besucher. 12 Sänger. Macht fünfzig Fans für jeden. Immerhin. Noch wen vergessen? Ja. Rock4. Käse mit Schreibfehler. Jetzt aber los.

Wie gesagt: A-Cappella. Die Kunst des reinen Singens. We are the band. Ja, so geht’s. Die Briten haben es vorgemacht. Italiener auch. Fünf Freunde sollt ihr sein. Madrigale singen. Und was ist Trumpf? Na ja – das ist Ansichtssache. Ein bisschen ist es wie betreutes Witzeerzählen mit Tonverdichtung. Das Publikum: Überwiegend fortgeschritten. Lauter jung Gebliebene.

Erste Erkenntnis: Frauen gehen es professionell an. Die gehen nicht einfach ins Konzert. Die bereiten sich vor. Wetterimmanent. Sie haben alles dabei: Passende Kleidung. Passendes Schuhwerke. Isomattenhafte Sitzunterlagen zur Stimmungsaufhellung. Regensachen. Wolldecken. Die Jungs sind es rustikaler angegangen. Es reicht, dass Mann da ist. Mann ist robust. Das ist auch die Botschaft von der  Bühne. Herrenwitzhaftes kommt rockhaft eingefärbt. Basta. Fünf Herren haben eine Botschaft: Machen wir uns einen schönen Abend. Singen wir ein bisschen was und moderieren wir zwischendurch. „Die sind Bundesliga“, sagt Gisbert, 48 und meint: Das ist spitze. Vielleicht sollte man’s dranschreiben.

Der A-Cappella-Gesang unserer Tage stellt einen Text zur Verfügung, der dann nicht kontrapunktisch ausgeführt, sondern mit einer Lautsolmisation à la schwadderlapp, schwadderlapp, schuschubbiduwabb  antitristesshaft unterfärbt wird. Ja, so geht’s. Die Texte: Tongewordener Herrenwitz. Es geht um die Traumfrau an der Theke: Anmachhilfen. Oder um den Traumtyp, der natürlich ein Volltrottel ist (Schwadderlapp) und sich Waild ßing nennt. Das kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Wildding. Das freut das Publikum. Jetzt wird mitgesungen. Die Gemeinde ist erstaunlich singfest und detonationsarm. Die Kommandos von der Bühne werden willig umgesetzt. „Jetzt seid ihr dran.“ Der Lied-, pardon Leadsänger dreht das Mikrofon zur Menge, schon geht es ab. Aber wie. Waild sing. Singwild. Betreutes Singen mit Klatschdurchfall. Gibt’s das eigentlich auch außerhalb von Deutschland? Und während sie also an der Show mitarbeiten, haben manche noch das Tablett mit Pommescurrybier auf dem Schoß. Waild ßing. Man fühlt sich an Grass‘ Zwiebelkeller erinnert. Unbekannt? Macht nix.

Auf der Bühne rocken sie. Schwadderlapp, schwadderlapp. Klimbim in Tönen. Frauen kommen nur in den Texten vor und sind Gebrauchsgegenstände. Pointen sind Pointen auf Kosten der anderen. Selten blitzt es anders auf. Trotzdem sind die meisten begeistert. Aber es gibt auch Kostverächter. „Klatschen wir mal“, sagt Dorothea, 48, nach dem zweiten Stück, „dann werden wenigstens die Hände warm.“ Helge, 47, lacht. So kann man es natürlich auch sehen. Was lernen wir? Es gibt einen Herren namens Bizett, der eine Oper geschrieben hat. Kamen heißt sie. Ein toller Erfolg. Jetzt soll es eine Fortsetzung geben: Kamener Kreuz. Immerhin. Eine Fünfundvierziggradpointe. Man muss a bisserl ums Eck, ums zu verstehen. Einfacher gestaltet sind die Aussagen in Richtung Frauen-WM. „Ich hab mir das erste Spiel angesehen und fand es unheimlich toll. Als es vorbei war.“ „Eysuperey“, strunzt Rudi, 46.  Schwadderlapp. Egal. Es ist erstaunlich, wie genügsam ein Publikum doch sein kann. Die wiehern selbst jetzt schon. Ab in die Pause. Zwischendurch immer wieder: Frank. Mal kommt er mit vollem Tablett, dann mit Leerem. „Bin gleich wieder da“, sagt der Mittvierziger und schiebt seinen warmgesessenen Hintern an den Backen der Sitzenden vorbei. Hatte man das im Benimmgrundregelkurs nicht anders gelernt?

Die bestens vorbereiteten Frauen haben den Pausenpinkelfaktor unterschätzt. Nach dem Abgang des ersten Gesangsquintetts entsteht quasi explosionsartig eine Schlange vor dem Damenklo. Das kommt davon. Die Männer können derweil ein Bierchen zischen und sich warm machen. Punsch gibt’s auch. Das wärmt. Dann ein Trio. Ganz schön feist. Text- und Musikniveau werden angehoben. Trotzdem auch hier: Betreutes Singen. Das wäre mal was für die Klassik-Abteilung: Mitsingkonzerte. Okay – die Holländer haben es längst: Matthäus-Passion zum Selbermachen.   

Längst ist die Außentemperatur auf schnuckelige dreizehn Grad abgesunken. Niederrheinischer Vokalsommer eben. Empfehlung für das Trio auf der Bühne: Anregung zur Polonaise durchs Kutschenrund. Auch jetzt wieder: Herrenwitze in Noten. Lernt ein Junge ein Mädchen kennen und stellt sie seinem Vater vor. Sagt der Vater: Lass die Finger von dem Mädchen. Sie ist deine Schwester, aber Mutti weiß von nix. Der Junge gehorcht. Lernt ein neues Mädchen kennen. Stellt sie dem Vater vor. Lass‘ die Finger von ihr, sagt der Alte. Sie ist deine Schwester, aber deine Mutter weiß von nix. Jetzt ist der Bub aber schon irgendwie sauer. Schwadderlapp! Geht zur Mutter und petzt. Mami, der Vati sagt, ich soll das Mädchen nicht lieben, weil sie doch meine Schwester ist. Sagt die Mutter: Mach ruhig. Sie ist nicht deine Schwester, denn dein Vater ist gar nicht dein Vater. Aber er weiß von nix. Was soll man sagen? Schwadderlapp. Gesungen kommt’s natürlich besser. Bei der Zugabe blitzt Können auf. Es ist gut, wenn du weißt, was du willst, wenn du nicht weißt, was du willst, ist das nicht so gut. Das Publikum tobt. Wetterbedingt. „Die haben’s total drauf“, grinst Rudger, 56. Betreutes Singen im fortgeschrittenen Stadium. Der Refrain: Anspruchsvoll. Das vielleicht mal in der nächsten Gospelchorprobe oder beim Neuegeistlichemusikkreis dem Chorleiter vorschlagen. Den Text ein wenig umarbeiten, damit er auch gottestauglich ist. Obwohl: Ist der doch: Es ist gut, wenn du weißt, was du willst. Den Rest streichen.

Die Frauen stellen sich erst mal wieder an. Die Schlange ist allerdings kürzer. Einige haben geistesgegenwärtig die Zugabe schon zur Pinkelpause umfunktioniert und haben jetzt Zeit für einen Kaffee, die Tasse mit beiden Händen wärmesuchend umringend. „Dörthe wird sich ärgern“, sagt Heidi, 52, zu Rose, 48. Beide sind in Goretex erschienen und kennen sich aus dem Selbsterfahrungskurs „Blockflöte und Schwebebalken“. Was gab’s an Themen? Supermann hat Probleme mit dem Anbaggern. Schwadderlapp. Kuh statt Traumfrau. Schubidu. Trottel bringt es zu nix. Auch nicht bei den Frauen. Yeahdieyeah. Ein Aphrodisiakum im Abendessen soll dem Bauern Erotik bringen, aber nach viel Essen und Wein kotzt die Herzdame nur auf den Tisch. Verschwindet auf dem Klo und reißt ihm anschließend die Klamotten vom Bauernleib. Erotik also erst beim nächsten Mal. Jappadeppdudu. Und: Fußball. Immerhin. Aber ist Fußball nicht auch nur Männerfantasie mit anderen Mitteln? Ein Song für Yogi, den Löwen. Das Publikum lernt den Refrain im Flug und nimmt dem Quintett die Arbeit ab. Die vertreiben sich derweil die Zeit mit Choreographie.   

Dann: Das Finale. Sprachwechsel ins Englische. Vier Buttermilchbuben rocken das langsam in Kältestarre gleitende Publikum. Jetzt also die Hits: Superträmp und Kompanie. Sirenenfalsett mit Schwadderlapp. Led Zeppelin für Männerchor. Da geht was. Da darf’s auch ruhig mal ein bisschen regnen. In zwei Jahren soll es weitergehen: Mouthrock für Fortgeschrittene. Letzte Worte: „Auch wer da war, hat nix verpasst“, Werner, 53.